Es war mittlerweile Nacht und dennoch nicht völlig dunkel, als ich meinen Blick über die Felder und in den weiten Sternenhimmel schweifen ließ. Da war immer noch ein Hauch von Licht in der Dunkelheit. Irgendwie beruhigte mich das, als ich dort auf der Bank tief in meinen Schlafsack hineingekuschelt lag. Leichtes Schnarchen ertönte aus einigen Zelten und Biwaksäcken, der um mich herum liegenden Schlafenden. Auch das wirkte auf irgendeine Weise beruhigend. Ich war nicht allein in der ersten Nacht draußen und sollte es auch in den folgenden nicht sein.

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Und das war es wohl, womit ich am wenigsten gerechnet habe bei der ersten öffenlichen Bikepacking-Langstreckentour, die ich mitfahren wollte. Denn ich war davon ausgegangen, dass ich den Großteil der knapp 615 km langen Route des ersten Hanse Gravel 2019 allein zurücklegen würde. Entlang des alten Hanseatenweges führt dieser abwechslungsreiche Weg auf den Spuren der Kogge und der Hanse mehr oder weniger entlang der Ostseeküste vom deutschen Hamburg bis ins polnische Stettin.

Das Interesse an dieser Tour war sehr groß. Knapp 180 Leute hatten sich für die Bikepacking-Selbstversorgungsfahrt Ende April 2019 registriert. Bei vergleichbaren deutschen Events waren es meist um die 50 bis 60 Teilnehmende. Vielleicht, weil die Tour durch die geringeren Höhenmeter zunächst einsteigerfreundlicher wirkt? Doch wer auf eine gemütliche Kaffeefahrt mit ein wenig Kiesel gehofft hat, wurde schnell eines besseren belehrt. Die Hanse Gravel Route mag vielleicht keine richtige Bergtour beinhalten, doch auch im hohen deutschen Norden lassen sich ein paar Höhenmeter sammeln. Und diese Hügel gehörten dann zu den geringeren Herausforderungen.

Viel mehr erwartete die Teilnehmenden eine kunterbunte Mischung aller Untergründe, die man sich so vorstellen kann. Von gravelligen Feldwegen mit kleinen Kieseln und faustgroßen Steinen, über alte Lochbetonplatten, matschige Waldwege, sandkastenartige Abschnitte, über Kopfsteinpflaster unterschiedlichster Qualitäten, sowie asphaltierten Straßen und Fahrradwegen war alles dabei. Nicht zu vergessen der Wind, der mal von vorn oder von der Seite eher Bremswirkung erzeugte und glücklicherweise aber auch des Öfteren von hinten ordentlich Antrieb bot. Manchmal gab es auch Anstiege mit Sand und Kieseln und Wind. Es war also für jeden was dabei^^. Doch egal wie der Untergrund am Ende war, die Landschaft war einfach atemberaubend schön und die gesamte Route ein wahrer Augenschmaus!

Tag 1 auf der Hanse Gravel Route: Und ab geht die Fahrt!

Gestartet wurde am 25.04.2019 im Hamburger Elbpark Entenwerder in traumhafter Lage direkt an der Elbe. Dort durfte ich bereits am Vorabend einige bekannte Leute wiedersehen und neue Gesichter kennenlernen. Ein paar hatten auch im Park genächtigt. Am Donnerstagmorgen sammelten sich schließlich nach und nach die Teilnehmenden im Café auf Entenwerder zum gemeinsamen Frühstück und entspannten Start gegen 10 Uhr.

Ich war aufgeregt. Sehr. Es war toll, so viele Bekannte wieder zu sehen, sich auszutauschen, in der Sonne zu hocken und noch einen entspannten Kaffee zu schlürfen. Aber schließlich konnte ich es kaum erwarten endlich loszufahren! Und das geschah dann auch sehr schnell und irgendwie überraschend. Waren da schon welche vorher weg? Der große Stau beim Start fiel jedenfalls aus. Auch, wenn eine recht große Gruppe sich nun auf in den Hamburger Verkehr machte, um gen Norden die Stadt zu verlassen, lief alles recht geordnet und unkompliziert.

Zusammen mit Phil, den ich ewig nicht gesehen hatte, und ein paar anderen ging es gegen 10 Uhr wirklich aufs Rad und der erste Hanse Gravel nahm seinen Lauf. Cap #58 rollte an und konnte übrigens während der Tour via Spotwalla verfolgt werden. Das Feld der Mitfahrenden zerzog sich spätestens durch die Ampeln in der Innenstadt, an der ich schließlich auch den Anschluss zu Philipp verlor. Entlang der Alster und raus aus Hamburg war ich allein unterwegs. So allein, wie man eben sein kann, wenn mehr als 150 andere Radfahrende zur gleichen Zeit auf dem gleichen Track unterwegs waren. Ich war hin und her gerissen, ob ich weiterhin Tempo machen sollte oder eher gemütlicher diese wirklich traumhaft schöne Route entlang der Alster genießen sollte. Ich entschied mich für eine Kombination aus beidem.

#dertrackistdertrackistdertrack

Das ständige Absteigen aufgrund von Treppen an Flussuferweg noch in Hamburg sorgte für Entschleunigung und bei zahlreichen Fußgängern an diesem sonnigen Frühlingstag oft für ein Kopfschütteln. Warum nahmen diese Rüpelradler nicht einfach den leichteren Radweg an der Straße weiter oben? Ich sollte mich später noch des Öfteren fragen, warum ich nicht die glatte Parallelstraße nahm und stattdessen lieber mit dem Rad auf der Hanse Gravel Route übers Feld hoppelte. Aber: #dertrackistdertrackistdertrack!

Eine kleine Fliege fand den Weg in mein Auge und drückte neben der Kontaktlinse herum. Ich versuchte mich während der Fahrt davon zu befreien, war mir aber nicht sicher, ob ich es geschafft hatte, den Störer in meinem Auge zu erwischen. Doch ich wollte nicht anhalten. Ich wollte fahren, in die Pedale treten, meine Beine spüren, um das Rad dann wieder rollen lassen und erneut kräftig zu pedalieren. Die Fliege musste bis zur ersten Pause warten.

Immer weiter in Begleitung auf der Hanse Gravel Route

Ich fand Anschluss an ein paar Leipziger, unter denen auch ein weiteres Veloheld IconX am Start war. Caros rote Rakete war ebenso wie meine Libelle ein Augenschmaus und auch sonst fühlte ich mich in der Gesellschaft der Anderen ganz wohl. Vor allem als wir nach knapp 40 km bereits an einem Gutshof hielten und den ersten Kuchenstopp einlegten. Dort trafen wir auch auf andere Hanse Graveller. Ich freute mich sehr, als kurz darauf Martin eintraf, den ich bereits auf der Gravelspartakiade in „echt“ kennenlernen durfte und am Start aus den Augen verloren hatte. Auch Michael blieb zunächst bei uns. Mein Retter in der Not hatte mich kurz zuvor wieder aufgerichtet, als mein Rad mich beim zur Seite kippen, halb begraben hatte. Mein Versuch, ohne richtig abzusteigen über einen Baumstamm zu klettern, war nämlich grandios gescheitert…

Von da an radelten wir als Gruppe weiter. Während einige der Leipziger immer mal wieder „ballernd“ verschwanden, rollten wir anderen gleichmäßig durch die Frühlingslandschaft. Der grellgelbe Raps strahlte im Kontrast zum leuchtendblauen Himmel und das frische Grün der Bäume harmonierte perfekt mit dieser natürlichen Farbgewalt. Ich kam nicht umhin, mich öfter einmal seufzend umzuschauen und diese tollen Ausblicke zu genießen. Schön war dieser Streckenabschnitt. Sehr schön. Auch, wenn es immer wieder hoch ging und anstrengender wurde, fuhren sich doch selbst die Kieselwege sehr gut.

Auf der Hanse Gravel Route: Fotostopp mit Aussicht

Ich gab mir Mühe, regelmäßig die Sonnencreme aufzufrischen. Es war recht warm in der Sonne und über 20 °C und die stetige Bewegung ließen mich langsam ins Schwitzen kommen. Am Nachmittag hatte ich leichte Kopfschmerzen und vermutlich wieder zu wenig getrunken und gegessen. Zum Glück bekam ich das in den nächsten Stunden und Tagen besser in den Griff. Doch die Aussichten waren die Anstrengungen wert und das Schieben ab und zu, trainierte auch die Arme gleich noch mit ;-). Der ein oder ander Fotostopp musste natürlich auch sein. Und wenn er nur eine Ausrede zum Durchatmen und Luftholen nach einer kleinen Kletterpartie darstellte – oder, um die anderen beim Schieben zu fotografieren^^.

Die erste Tagesetappe auf der Hanse Gravel Route führte mich von Hamburg über zahlreiche kleine Orte nach Lübeck. Von dort ging es auf schmalen, ruckelnden Pfaden entlang der Trave durch teilweise sehr beschauliche kleine Fischerorte. Die Ausblicke waren genial, aber die Wegqualität mehr als fragwürdig. Die teils kaputten Pflastersteine zerrten ordentlich an den Kräften und Handgelenken. Die Shuttlebuspause kam da ganz recht und der Einstieg verlief ohne langes Warten. Der Bus mit Fahrradanhänger brachte Fußgänger und Radfahrende kostenfrei und unkompliziert durch den Herrentunnel. Von dort ging es für uns mit dem Rad weiter nach Travemünde und mit der Fähre rüber nach Priwall.

Radelmädchen und die drei bis fünf M

Meine Begleitung wechselte ab und an, doch bis zum ersten Abend bildete sich eine Gruppe heraus, mit der ich unerwarteterweise bis zur Ankunft in Stettin zusammenbleiben sollte: Radelmädchen und die drei bis fünf M. Manchmal ging ein M auf dem Weg verloren, wurde aber dann durch ein anderes ersetzt oder gesellte sich später freudig wieder hinzu. Am vorletzten Abend nahmen wir schließlich noch A auf, welchen wir unterwegs immer mal wieder in Begleitung eines bekannten Hamburger Fahrrad-Influencers 😉 getroffen hatten. Wir haben A schließlich aufgund gegenseitiger Sympathie und guter Eingliederung bis Stettin behalten. B war nur am vorletzten Tag bis zum Abend dabei. Umso größer war die Freude, sie heil und gut angekommen am Sonntagabend in Stettin wiederzutreffen!

So wurde aus der Ich-zieh-mein-Ding-durch-Selbstversorgungstour eine Gruppendynamische-Genusstour, auf der ich so viel gelacht habe, wie schon lange nicht mehr beim Radfahren. Egal wie wurzelig und wirklich unangenehm holprig der Weg wurde, egal wie bescheiden und anstrengend der knöcheltiefe Sand am Ende des ersten Tages war, wir sind da zusammen durch. Mein Rücken schmerzte, mein Hintern war irgendwann wund von der Wärme und dem Satteldruck und die Hände hatten Druckstellen. Doch die gemeinsamen Stärkungs-Pausen vorm Discounter, die viel zu gewürzten Pommes auf dem Rewe-Parkplatz zum Abendessen und das Bierchen am Abend mit Schnack und Ausblick ließen mich schnell darüber hinweg sehen.

Innerhalb kürzester Zeit harmonierten wir sehr gut zusammen, akzeptierten und amüsierten uns über die Sonderbarkeiten der anderen. Sicher gab es Momente, in denen ich mal kurz genervt war oder einfach weiter wollte (Nahrungsaufnahme half da meist schnell wieder drüber hinweg!). Doch im Großen und Ganzen machte genau diese bunt gemischte Truppe zusammen mit der wunderschönen Landschaft, den Hanse Gravel 2019 für mich zu dem einmaligen Erlebnis, das es am Ende war. Und sie sorgte dafür, dass ich das Essen während der Reise nicht vergaß.

Nachtlager am Wegesrand

Apropos Essen: Mein Plan für den ersten Tag war, bis nach Grevesmühlen zu fahren, dort einzukaufen und dann ein feines Futter- und Schlafplätzchen zu finden. Knapp 150 km sollten dann auf dem Tacho stehen, was genau dem entsprach, was ich mir so locker vorgenommen hatte.

Nach dem Einkaufen war es mittlerweile kurz nach 20 Uhr und Ziel war es, noch im Hellen einen Lagerplatz für die Nacht zu finden. Also ging es zunächst raus aus der Kleinstadt. Der Plan noch schnell in einen See zu hüpfen, wurde jedoch aus Zeitgründen verworfen. Feuchte Tücher und Katzenwäsche mussten reichen um Sand und Schweiß des Tages abzuspülen. Und davon gab es reichlich dank der trockenen Wege, dem Wind und dem Traktor, der uns den halben Acker vor die Räder und in die Gesichter gepustet hat.

Dafür konnten wir noch in der Dämmerung unsere Räder paralell zu einer langegzogenen Treppe den Berg hinauf schieben. Am Gipfel wartete ein kleiner Aussichtsturm, der sofort als Nachtlager festgelegt wurde. Und wir waren nicht allein mit dieser Idee. Schlussendlich schliefen bestimmt 12 Leute am Fuße und auf der Turmplattform. Da dieser Ort direkt am Track lag, konnten wir auch viele Lichter von anderen Gravellern in der Dämmerung vorbeiziehen sehen. Selbst mitten in der Nacht kamen noch drei müde Radfahrende hinzu (Die erste Begegnung mit A nach dem Start, noch im Schlepptau mit H und C).

Danke an Marcus d. für das Treppenfoto

Feierabend, Tag 1

Und so war der erste Tag geschafft. Schlafsack und Biwaksack lagen auf einer Luftmatratze kuschelig auf einer Bank und windgeschützt hinter dem Aussichtsturm. Ich brauchte noch einen Moment, bis ich wirklich schlafen konnte, zu aufregend war der Tag gewesen. Doch ich schlief schließlich relativ gut, ohne zu frieren. Mit Anfahrt nach Entenwerder waren es 165 km gewesen, die ich mit dem Rad zurückgelegt hatte. Knapp 9 Stunden hatte ich im Sattel verbracht und ca. 800 hm erklommen. Gut, für den ersten Tag 🙂 und mehr als ich zu hoffen gewagt hatte.

Hamburg-> Bad Oldesloe-> Lübeck-> Travemünde-> Grevesmühlen: ca. 150 km, Durchschnitt ca. 18 km/h


Teil 2 des Hanse Gravel Berichts findet ihr hier: Hanse Gravel 2019 – Nach dem Regen folgt Matsch

Teil 3 des Hanse Gravel Berichts findet ihr hier: Hanse Gravel 2019 – Mit der Ostseebrise nach Stettin

Und hier gibt es die Komoot Collection zum Hanse Gravel 2019!

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8 Comments

  1. hey juliane
    tolle beiträge, erfrischend und lustvoll geschrieben (ohne wattzahlen, trainingspläne…), kann ich immer wieder lesen, ganz einfach die pure lust am radfahren. danke dafür!
    gruss aus der schweiz
    pjotr

  2. In der Tat sieht diese Tour sehr spannend aus. @Stefan Frick – 165km sind natürlich sehr sportlich, aber man braucht ja auch Ziele auf die man hin arbeiten kann.

    • Hallo Tobias, auch Dir Danke für Deine Antwort. In der Tat, wäre das echt mal ein lohnenswertes Ziel. Beste Grüße, Stefan

  3. Stefan Frick Reply

    Hallo Radelmädchen, sehr schöner Bericht (wie gewohnt..) und tolle Fotos. Ich würd bei sowas lieben gern mal mitradeln. Allerdings sind 165 km, 800 hm bei einem Schnitt von rd. 16 km/h recht sportlich. Deshalb meine Frage, ob es bei diesem Event auch Gruppen für gemütlichere Fahrer gibt? War Eure Gruppe mit diesen Fahrdaten eher bie der Spitzengruppe oder eher bei den hinteren Gruppen? VG Stefan

    • Lieber Stefan. Zuerst einmal war ich auch überrascht wie gut das ging. Ich wollte ja eigentlich allein fahren und sehen wie weit ich komme. Und einige haben das auch so gemacht, was bei solchem Touren auch normal ist. Von daher musst du dich nicht verrückt machen, was das Tempo angeht. Einfach machen und schauen, wie es für dich passt. Das war ja kein Rennen. Ich hatte nur das Glück ein paar Leute zu finden, mit denen das Fahren harmonierte. Hätte es nicht gepasst, zu schnell/ zu langsam etc. wäre ich allein weiter gefahren. Wir waren irgendwo im Mittelfeld, haben sich regelmäßig Pausen gemacht, auch mehrere, was manche vielleicht reduzierter getan haben. Aber: Erlebnis vor Ergebnis und so hatten wir einfach eine Menge Spaß und darum geht es doch am Ende.

      • Liebes Radelmädchen, vielen Dank für Deine Antwort. „Erlebnis vor Ergebnis“ 😉 hört sich schonmal sehr gut an. Vielleicht sollte ich mich der Herausforderung wirklich mal stellen. Das Naturerlebnis scheint spitze zu sein und der Esprit stimmt glaub auch bei dem Rennen. Müsste aber noch ein bisschen trainieren. Beste Grüße Stefan

    • Hallo Stefan, es gab einige, mich eingeschlossen, die nur so 100 km am Tag gemacht haben, und dann halt 5-6 Tage bis Stettin brauchten. Größere Gruppen waren das allerdings dann nicht mehr. Nur noch ein paar Versprengte. Aber das ist ja nicht schlimm. Wenn du dich drauf einstellst. Ich habe mir ausgerechnet, was ich sonst so für einen Schnitt fahre, ein km/h abgezogen wegen des Untergrundes, malgenommen mit der Zeit im Sattel, die ich durchhalten kann, und so bin ich ohne Stress durchgekommen.
      Anstrenged war es natürlich trotzdem 🙂

      • Stefan Frick Reply

        Hallo Alexandra, auch Dir vielen Dank für Deine Antwort und Deine Infos. 100 KM am Tag ist schon recht sportlich, wie ich finde. Ganz klar, ein bisschen muss ich auf jeden Fall erst an meiner Gurndkondi feilen. Coole Formel/Herangehensweise übrigens, um das einem Mögliche abzuschätzen. Beste Grüße, Stefan

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