Sobald die Straßen der Großstadt außer Sicht gerieten und sich die Mehrfamilienhäuser zu Einzelhäusern wandelten, wurden aus dem feuchten, dunkel glänzenden Asphalt, weiß bedeckte Pfade und Wege. Hier an den Rändern der Stadt waren eine dünne Schicht Schnee und Eis liegen geblieben. Sie hellten die graue, in feinem, nebeligen Dunst eingehüllte Landschaft zumindest etwas auf. Der Himmel war grau und wolkenverhangen und legte sich schwer über die kahle, dunkle Winterszenerie. Doch diese war nicht ohne Schönheit. Sie hatte etwas Eigenes und Einzigartiges, deren Besonderheit mich sofort in den Bann zog.

Aus den Augenwinkeln bewunderte ich die fragil wirkende, milchige Eisdecke auf den zahlreichen Teichen, die wir passierten. Es war zu warm, als dass das Eis wirklich stabil sein konnte. Dennoch hauchte ich mit jedem Atemzug kleine Wölkchen heraus und war froh, wieder die warmen Thermo-Bibtights für diese Ausfahrt gewählt zu haben. Mir war größtenteils angenehm warm während der Tour. Auch, wenn es gerade mal um die 1°C kühl war, wechselte ich nach ein paar Kilometern bereits meine weiche Winterkappe gegen die einfache aus Baumwolle und zog nur den Schlauchschal zusätzlich über Kopf und Ohren unter dem Helm.

Bild Credit: Steffen Weigold

Zu Beginn war ich noch sehr zuversichtlich gewesen. Als wir am Samstagvormittag um kurz nach 10:30 Uhr den Rapha Store in Berlin Mitte verließen, ging es zunächst erst einmal auf Asphalt gen Norden und raus aus der Stadt. 10 Männer und ich. Eine CX bzw. Gravelrunde stand auf dem Programm und mir wurde zugesichert, dass diese weniger schnell als eine typische Rennradrunde sein würde. Davon ging ich zwar aus, denn von diesen hielt ich mich bewusst fern. Ich hatte jedoch schon eine Vorahnung, dass es wohl dennoch nicht meine Geschwindigkeit sein könnte. Gleichzeitig war da diese Motivation, einfach mal mit ein paar anderen Leuten zusammen Radzufahren.

Immer hinterher

Und ab ins Gelände! Schnell wurde mir klar, dass wir zumindest zu Beginn eine mir bekannte Route fahren würden: Der gute, alte Pankeradweg. Als wir im Norden Pankows auf den Radweg zwischen den Teichen abbogen, sank meine Motivation zum ersten Mal. Ich war bereits hier hinten dran und wir waren eben erst losgefahren. Ok. Keine Sorge. Den Weg kenne ich zumindest und konnte folgen, auch wenn die schnelle Truppe vor mir hinter einer Kurve außer Sicht geraten sollte. Ich keuchte etwas in mich hinein und war überrascht, kurz darauf alle auf mich warten zu sehen. Wie nett. Doch gleichzeitig ein kleiner Stich. Ein mulmiges Gefühl und der Gedanke: „Natürlich müssen die Männer wieder auf die einzige Frau in der Gruppe warten.“ Ich wollte das nicht.

Jedes Mal, wenn ich es schaffte innerhalb der Gruppe zu fahren, fiel ich spätestens beim nächsten langen geraden Abschnitt irgendwann wieder zurück. Wir hatten den Pankeradweg mittlerweile verlassen. Der Weg führte uns zwischen den vereisten, mit zahlreichen Vögeln besiedelten Karower Teichen hindurch und an mit einer feinen Frostschicht bedeckten Feldern vorbei. Es war so märchenhaft, so verschlafen und ich fühlte mich in eine Welt der russischen Wintermärchen hinein versetzt. Hinter der nächsten Ecke tauchte bestimmt das Hühnerbeinhaus der Hexe Baba Jaga auf! Ganz bestimmt!

Da, ein Gatter! Einer hielt das Tor offen, damit alle hindurch und mitten über die Weide der Hochlandrinder fahren konnten. Ich freute mich und beobachtete beim Vorbeirauschen aus dem Augenwinkel die großen Hörner der friedlich grasenden Tiere. Schade, ich hätte gern ein Foto gemacht. Doch ich wollte mich nicht wieder zurückfallen lassen. Das nächste Tor kam in Sicht und schon lag die Weide hinter uns. Zunächst war ich über jedes Hindernis erfeut, bei dem alle etwas herunter bremsen mussten und ich es so einfacher hatte, sie wieder einzuholen. Doch im nächsten Moment war die Freude darüber schon wieder dahin. Einige meiner Mitfahrer beschleunigten so schnell, dass ich dann noch weniger eine Gelegenheit hatte, Schritt zu halten. Ich beneidete sie ein wenig.

Alte Wehwechen..

Der Liepnitzsee, schön war es hier, Sommer wie Winter. Den Ufersprint genoß ich. Natürlich langsamer als alle anderen, doch schön wars, vorbei an dem in feinem Nebel gehüllten See zu radeln. Nach der Hälfte der Strecke, für mich nach ca. 40 km spürte ich deutlicher, wie meine Oberschenkel etwas zogen und meine Arme zu verkrampfen begannen. Meine rechtes Knie, dass sich bei Überanstrengung seit der Gravelspartakiade immer meldete, muckte auf. Wieder anfahren, dabei beiben, auffahren, zurück bleiben. Es war mühselig. Frustrierend. Ich dachte ans Aufgeben. Ans zurück bleiben. Wie dramatisch. Mehr als einmal, nachdem die anderen zum dritten Mal auf mich gewartet hatten, bemerkte ich leise, dass ich ein Navi dabei hätte und sie ruhig weiter ihr Tempo fahren können. Ich wollte niemanden aufhalten. Doch das wurde ignoriert. Wieder wurde ich gebeten, doch vorn mitzufahren.

Es funktionierte nur kurz. Beim nächsten Anstieg, bei dem ich immer an Geschwindigeit verlor, wurde ich überholt und fiel erneut zurück. So mühselig… Dabei war ich überrascht, wie wenig Sorge mir der Untergrund machte. Nachdem wir die Felder verlassen hatten, sausten wir auf einem Forstweg durch den Wald. Der Boden war teilweise mit einer dicken Schicht gefrorener Blätter bedeckt, sodass Wurzeln und Löcher schwer zu erkennen waren. Eine feine Schnee- bzw. Eisschicht hüllte alles ein. Der Sandweg war so fest gefroren, dass die eingefahrenen Quer-Rillen von den Reifen der schweren Forstfahrzeuge sich hart ruckelnd wie ein Brett fuhren und heimtückische Kanten erschaffen hatten, an denen man wegrutschen konnte. Doch bis auf einen Ausrutscher, bei dem ich mich überrascht wieder gefangen habe, geschah mir nichts. Meine Gravelking Schlappen taten unermüdlich ihren Dienst ohne zu mucken und ich füllte mich recht sicher.

Obacht! Glatt.

Andere, mit weniger Profil und schmaleren Reifen hatten da weniger Glück. Wir fuhren einer dieser langen, geraden Waldwegabschnitte. Ich spürte, wie meine Energie nachließ und mir war etwas diesig. Jetzt nur nicht vom Rad fallen. Da war er wieder, der Gedanke, anzuhalten, einen der mitgebrachten Riegel zu essen und dann ruhig und gemächlich allein weiter zu fahren. Schließlich waren wir eh schon auf dem Rückweg. Kurz bervor ich mich entschlossen hatte zu stoppen, wurde mir die Entscheidung abgenommen.

Das Gelände war leicht hügelig und bei einem bergab Abschnitt sah ich vor mir plötzlich ein Straucheln unter den anderen Fahrern. Es ging sehr schnell. Auf einmal stürzten drei der nahe beieinander radelnden Herren halb übereinander vom Fahrrad. Einer war weggerutscht und hatte die anderen in einer Art Dominoeffekt mitgezogen. Ich atmete besorgt hastig tief ein und war erleichtert, als ich ankommend feststellte, das keinem wirklich etwas passiert war. Ein Stöhnen hier und da und schon waren alle wieder auf den Beinen. Es war nicht der einzige Sturz an diesem Tag gewesen.

Bild Credit: Steffen Weigold

Frust

Aufatmend nestelte ich flink an meiner Stembag herum, um schnell ein Stück Notfall-Riegel in den Mund zu schieben. Die Gestürzten taten mir zwar Leid, doch mir kam die ungeplante Pause sehr willkommen. Ich spürte, wie die wenigen Minuten Ruhe mir wieder etwas Energie schenkten. Als wir weiterfuhren, versuchte ich erneut mein Glück weiter vorn. Nicht lang, natürlich. Ich mochte auch das plötzliche Anschieben nicht, dass sicher gut gemeint war, mich aber trotzig reagieren ließ.

Es gibt nur wenige Menschen, die das durften und die kannte ich sehr gut. Bei allen anderen fand ich es mehr als unangenehm, fast schon beleidigend. Egal wie gut die Absichten waren. Ich brauchte keine Schubhilfe. Lieber fahre ich allein durch den Wald in meinem Tempo, als mich so zu erniedrigen. Übertrieben? Nein, denn so fühlte es sich in dem Moment an. Meine etwas patzige Reaktion tat mir im Nachhinein Leid. Doch ich musste einfach deutlich zeigen, dass ich das nicht wollte. Ich kam mir so schon ziemlich schwach vor.

Ich war gefrustet. Hatte ich wirklich nur einen Funken Hoffnung gehabt, ich könnte bei einer derartigen Ausfahrt mithalten? Musste ich das überhaupt? Das waren alles eher sportlich motivierte Fahrer, wie mir schien. Die meisten zumindest und das war bei einer Ausfahrt von Rapha wohl auch keine Überraschung. War es also mein Fehler, es überhaupt versucht zu haben? Irgendwie wollte ich das nicht einsehen. Einen Versuch war es wert und schadete nicht (außer meinem schmerzenden Knie). Dann wusste ich wenigstens Bescheid. Es macht ja keinen Sinn, sich vorher schon entmutigen zu lassen, ohne es überhaupt versucht zu haben, oder? Es hätte ja auch klappen können. Doch wahrscheinlich werde ich vorerst solche Ausfahrten meiden. Allein ist auch gut oder mit eins, zwei Freunden zusammen, die so wie ich fahren wollen. Oder ich organisiere mal was Eigenes, Entspanntes. Eigentlich eine gute Idee. Anyone?

Bild Credit: Steffen Weigold

Cycling is no sport

Radfahren ist für mich weniger Sport, als viel mehr Teil meiner Lebenseinstellung und meines Alltags. Ja, ich liebe es tagelang mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Doch ich trainiere nicht. Ich fahre einfach. Ich fahre mittlerweile auch in meiner Freizeit viel mehr als früher. Ja, auch mein Fahrrad ist sportlicher geworden. Aber ich bin eben immer noch nicht schnell im sportlichen Sinne. Ich kann lang fahren, weit. Manchmal lasse ich mich auch mitreißen, wenn ich zusammen mit anderen unterwegs bin. Es darf auch gern mal schnell sein mit kurzen Sprints auf langer, ebener Strecke. Doch dann verfalle ich wieder in meinen Trott. 22 km/h, dann 20 . Mal mehr, mal weniger. Super. Hallo Landschaft. Hallo Baum. Hallo See. Hallo Vogel. Oh, ein Reiher. Schnell mal anhalten und leise ein Foto machen.

Und dann aber weiter. Schließlich will ich auch voran kommen. 😉 Das ist es. So mag ich das. Fahrt einfach, wie es euch gut tut! Mein Ausflug in die Welt der gemeinsamen Sportausfahrten war sehr lehrreich gewesen. Ich war so erledigt am Abend, wie ewig nicht mehr nach einer Radtour, verspannt und mit schwerzendem Knie, dass auch Tage später noch Probleme machte. Die Strecke an sich war super schön gewesen. Irgendwie war es auch schön, mal nicht allein zu fahren, zum Abschluss der Fahrt noch im Café zu quatschen, etwas zu futtern und Kaffee zu schlürfen. Doch immer hinterher hängen, egal wie sehr ich mich anstrengte, ist eben sehr unbefriedigend. Ernüchternd.

Und die Moral von der Geschicht…

Ein Gutes hatte das Ganze: Ich habe nicht aufgegeben. Egal wie doof ich es manchmal fand. Das mag zum einen an einigen sehr angenehmen Mitfahrenden gelegen haben, die immer wieder auf mich warteten. Auch die Strecke gefiel mir schließlich sehr gut. Andererseits war da meine eigene Sturheit, die mich durchhalten ließ und das befriedigte mich am Ende doch sehr. Es gibt außerdem noch eine leise Stimme in mir, die sich das nicht bieten lassen möchte. Die sagt, das kannst du auch! Du musst nur deinen Arsch mal hoch kriegen und regelmäßig Strecke in einem bestimmten Tempo fahren. Und dann? Dann kann ich vielleicht mithalten. Eine Option. Doch bis ich diese Motivation gefunden habe, fahre ich lieber weiterhin gemütlich durch die Landschaft, halte zum Essen kurz an, hole tief Luft, schüttel die Beine aus und fahre dann ausgeruht und entspannt weiter. Lehrreich. Wie gesagt.

Far not fast.


Danke an Steffen für die schönen Fotos und die tolle Routenführung. Auch für deine Motivationsversuche: Ich habe es wirklich versucht!

Und Flo: Danke fürs offene Ohr :-)!

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3 Comments

  1. Ja super geschrieben. Ich bin ein „Mann“ und kenne das Gefühl auch. Ich fahre auch wegen dem fahren, dem Lebensgefühl und nicht wegen der Geschwindigkeit. Deswegen bin auch ich leider viel allein unterwegs.

    Viel Spaß Dir weiterhin

  2. Mir geht es da ähnlich wie dir, ich kann weit und lang fahren, aber eben nicht schnell. Gerade am Berg kann ich das Tempo nicht halten, sodass ich mich inzwischen auch aus organisierten Gruppenfahrten raushalte. Das heißt aber nicht, dass ich nicht mit Freunden zusammen fahre, die mich aber kennen und sich dann auf eine ruhigere Runde einstellen.
    Ich mag das Gefühl nicht den anderen dann ein Klotz am Bein zu sein und gleichzeitig die ganze Zeit am Limit zu fahren.

  3. Hallo Juliane,

    schöner Bericht. Ich kann Dich voll und ganz verstehen.
    An meinem Rad gibt es ganz bewusst keinen Tacho, ich möchte nicht beim Schönsten was es für mich gibt noch in ein Leistungsdenken verfallen.

    Früher, mit Tacho, schielte ich immer auf Durchschnittsgeschwindigkeit und Strecke, ganz egal was mein Körper sagte. Halte ich heute für Blödsinn.
    Ich fahre Rad aus Spaß. Nagut, meistens 😉 Es gibt einfach verschiedene Einstellungen zum Radfahren. Für manche ist es Sport, für manche Prestige, für mich Genuss und Lebenseinstellung. Dahingleiten ohne Zeit und Raum….

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