Ich sitze bis auf wenige Ausnahmen jeden Tag auf meinem Fahrrad, fahre durch Berlin, zur Arbeit, zu Freunden, mache Erledigungen und Einkäufe. Immer wieder begegnen mir andere Radfahrer, vermehrt besonders jetzt in den Sommermonaten, die ein gänzlich anderes Fahrverhalten haben, als ich.

Damit meine ich nicht nur die Geschwindigkeit, in der sie sich fortbewegen. Es geht auch um die gegenseitige Rücksichtnahme und der Respekt vor anderen,  die Beachtung von Verkehrsregeln( oder eben nicht) und somit das allgemeine Auftreten im städtischen Verkehr. Verschiedene Einstellungen, Situationen, Hintergründe und Charaktere bedingen das.

So bin ich in einer Großstadt, wie Berlin, einiges gewohnt. Sicher, der Autoverkehr kann wirklich anstrengend sein. Gerade an den großen Hauptverkehrsadern sind die Straßen voll, die Radwege oft schlecht befahrbar etc., aber darum geht es mir gerade einmal nicht.

Die Ampel war rot!

Was mir heute sauer aufgestoßen ist, war eine Frau mittleren Alters, die mit einem Kind von vielleicht 10 -12 Jahren, ich vermute einfach mal ihrem Sohn, auf dem Rad unterwegs war. Sie fuhr meist leicht hinter dem Jungen, der auf dem separaten Radweg hin und her kurvte, aber dennoch darauf blieb. Ich überholte sie kurz vor einer großen, stark befahrenen Kreuzung( Hermannstr./ Columbiadamm). Die Ampel war rot, als ich dort ankam, ebenso als die beiden sie erreichten. Der Junge hielt auf dem Radweg ganz vorn. Die Mutter kam dahinter, bremste nur leicht ab und war scheinbar davon ausgegangen, dass er weiter bis zur Straße fuhr, über den Fußgängerübergang hinweg. Nun, sie holte dies nach und radelte vorbei bis an die Fahrspur der kreuzenden Straße.

Das Kind wirkte etwas verwirrt, folgte ihr aber. Sobald die Wagenreihe abbrach, trat die Frau in die Pedale und fuhr über die Kreuzung geradeaus hinüber. Die Ampel war immer noch Rot. Dem Jungen blieb keine andere Wahl, als aufzuschließen, wenn er nicht zurückbleiben wollte.

Ich stand da, beobachtete die Szenerie und war ehrlich gesagt ziemlich sprachlos. Mehr als ein Kopfschütteln war in dem Moment nicht drin. Was war da gerade passiert?

Vorbild

Ich bin sicher kein Kind von Traurigkeit und fahre auch nicht immer vorbildlich und ab einer gewissen Uhrzeit und weniger befahrenen Straßen ärgern mich manche rote Ampeln genauso. Nur: Ich bin meist allein unterwegs und starte solche Aktionen nicht an stark frequentierten Kreuzungen. Wie kann man als Mutter, die eine Vorbildfunktion hat( Zumindest habe ich diese Illusion. Besonders, wenn das Kind dabei ist.), so vollkommen absichtlich und ohne groß nachzudenken, sein Kind solcher Gefahr aussetzen? Ja, vielleicht war gerade kein Auto mehr in Sicht auf dieser Fahrspur und die Ampel würde auch gleich grün werden. Aber was ist mit den vielen anderen Situationen, wo das nicht so leicht abzuschätzen ist? Was ist mit der Straßenverkehrsordnung und dem, was der Junge von seiner Mutter beigebracht bekommt und sich eventuell auch aneignet und anwendet, wenn er allein unterwegs ist?

Bleibt man normalerweise nicht auch als Fußgänger auf jeden Fall stehen, wenn ein Kind mit an der roten Ampel steht? Kinder können schwerer abschätzen, wie die Abstände wirklich sind, wie viel Zeit sie noch haben, bis das Auto bei ihnen sein wird. Sie lernen dies noch. In dem Moment hat man nicht nur eine Verantwortung für sich selbst, sondern gibt auch ein Bild ab für den Beobachter, in dem Fall besonders das Kind. Auf dem Fahrrad ist das nicht anders. Nur entweder verändert sich diese Einstellung scheinbar gerade oder ich bin zu naiv, zu glauben, dass es normal ist, so bedacht zu handeln. Und noch ein oder: Es war eine Ausnahmesituation, sie hatten es eilig und ich rege mich umsonst auf.

Alltag

Dennoch will das Bild nicht aus meinem Kopf, wie selbstverständlich es für die Frau war, weiter zu fahren.  Sicher, wäre sie allein unterwegs gewesen, wäre es nur eine Situation von vielen dieser Art gewesen, wie man sie jeden Tag haufenweise im Stadtverkehr sieht. Ein Radfahrer fährt über eine rote Ampel. Nicht ungewöhnlich, nicht besonders schön, manchmal verständlich, manchmal total sinnfrei und gefährlich.

Fakt ist: Die Dame war nicht allein. Sie ist ihrer Verantwortung als Vorbild und Vertrauensperson nicht nachgekommen, sondern hat ihrer Position ausgenutzt ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen ihres Handelns, ohne Rücksicht auf die Gesundheit ihres Kindes. Und das ist es wohl, was mich so erschreckt hat.

Stehe ich damit allein da? Ich denke nicht. Ich hoffe nicht.

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1 Comment

  1. Ähnliche Situationen wie diese hab ich selbst auch schon mehrfach erlebt. Eine unachtsamme Mutter, in ein Gespräch am Handy vertieft schiebt ihren Sohn vor sich über die rote Ampel. Er wehrt sich – es ist ja rot – gibt dann auf, schaut sich um und geht, gefolgt von seiner Mutter.

    Es gibt aber auch das andere Extrem. Die Menschen, die sich stumpf an die Regeln halten und sich so sehr darauf verlassen, dass sie scheinbar gar nicht mehr mitdenken. Grundsätzlich bin ich ein großer Freund von „selbst entscheiden, wann etwas Sinn macht und wann nicht“. Nachts an einer roten Ampel zu stehen, obwohl weit und breit niemand zu sehen ist, fühlt sich sinnfrei an. Sich mit aller Gewalt an wartenden Autos vorbei zu quetschen, um vor ihnen als erster über die Ampel zu fahren, auch wenn man dann im Weg steht und eh kurz darauf überholt wird macht weniger Sinn. Es sei denn, ich will rechts abbiegen, wo Autos auf die Fußgänger warten müssen, mit denen ich mich auf dem Rad jedoch deutlich besser arrangieren kann.

    Vorbildfunktion inkludiert für mich nicht nur zu zeigen, dass man sich an alle Regeln zu halten hat, sondern auch zu zeigen, dass ein selbstständiges, verantwortungsbewusstes Denken wichtig ist.

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